Ich habe gehört, dass diese Art von intensiven Beziehungen von kurzer Dauer sind. Aber bei uns wird das sicherlich anders. Paul und ich kennen uns erst seit einigen Monaten, sind aber bereits unzertrennlich. Mit seinen 29 Jahren zählt Paul zu den Millennials bzw. zur Generation Y. Wie die meisten in seiner Generation ist er sehr technikbegeistert. Wir haben so Vieles gemeinsam. Er versteht mich und weiß, wie man gebührend mit mir umgeht. Natürlich möchte er nie mehr auf mich verzichten… hoffe, ich jedenfalls. Du willst wissen, wie unser gemeinsames Leben aussieht?
Bereits nach kurzer Zeit kannten wir einander sehr gut. Wir, das sind Paul, 29 Jahre alt und ledig, und ich, sein Smartphone. Paul hat auch eine Freundin, er hat studiert und arbeitet in einem Start-up in der Großstadt. Seine Wohnung ist nicht geräumig, bietet aber genügend Platz für etwas Komfort und die anderen täglich genutzten Geräte: Tablet, Laptop, Fernseher und natürlich die Kaffeemaschine. Ich als sein Handy stehe jedoch ganz oben auf seiner Sympathieskala.
Kurzer Faktencheck zwischendurch: Wie viel hat Paul für mich ausgegeben?
Ich bin ein Samsung Galaxy S20 Ultra 5G 128GB und stolz darauf (wir wollen hier ganz genau sein, schließlich ist auch Paul mit technischen Details bestens vertraut). Für mich musste Paul über 1.000 € zahlen. Und ja, mein Vorgänger durfte Paul nur 2 Jahre begleiten – dann war es Zeit für mich, das neueste Smartphone.
Natürlich gut vernetzt
Paul steht oft in Kontakt mit seinen Freunden. Die ganze Kommunikation läuft natürlich über mich. Am liebsten nutzt Paul die Social Media-Kanäle Facebook, Youtube und Whatsapp. Auf Instagram hält Paul sich auch gern auf, jedoch sind die meisten seiner Freunde Facebook immer noch treu geblieben. Von meinem Kumpel, dem iPhone XS seines jüngeren Bruders Anton habe ich erfahren, dass dieser sich mit seinen 24 Jahren hingegen sehr viel auf Instagram und TikTok aufhält.
Die innige Beziehung
Paul ist mit der Technik groß geworden. Seine Eltern haben ihm und seinem Bruder früh beigebracht, mit dem Computer umzugehen.
Sehr gern unternimmt Paul auch Fahrradausflüge mit seiner Freundin (in meiner Begleitung, versteht sich). Noch mehr Zeit als mit ihr verbringt er jedoch mit mir, seiner heimlichen Geliebten. Heimlich? Na gut, ganz so heimlich ist unsere Beziehung nicht. Jedoch so intensiv, dass es ihm zeitweilig unangenehm ist, offen darüber zu sprechen.
Früh morgens wecke ich ihn mit personalisierten Klängen, er steht auf und betrachtet mich interessiert, trotz des Schleiers der noch auf seinen Augen liegt. Der frühmorgendliche Austausch lässt ihn selten kalt, von der Euphorie über eine herzerwärmende Nachricht seiner Freundin bis hin zum Wutausbruch über den Klempner, der den heutigen Termin erneut verschiebt. Das Gefühlskarussell ist schon morgens in vollem Gange. Ich begleite ihn durch Höhen und Tiefen und halte dabei stets seine Hand. Dabei bin ich ihm wirklich eine große Stütze, mit einem Bildschirm von 6,9 Zoll bin ich, das Samsung Galaxy S20 Ultra, ja auch kaum zu übersehen.
Nach dem Frühstück gehen wir gemeinsam aus dem Haus. Paul fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Seine Smartwatch trackt dabei den Puls, dokumentiert die zurückgelegte Strecke und benachrichtigt ihn, dass sein Meeting in 20 Minuten beginnt. Dass die Lorbeeren der Smartwatch eigentlich mir zustehen, verdrängt Paul manchmal.
Wie ein offenes Buch
Paul hat mit mir ein wohl überlegtes Kennwort ausgemacht, für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte. Nur wir beide kennen es. Seine intimsten Passwörter, Bedürfnisse, seine Standorte, seine politische Gesinnung, sein Liebesleben, sein Netzwerk an Freunden und Bekannten, seine Geschmacksrichtungen, seine Lieblingsmannschaft, seinen Bildungsgrad, seine religiöse Ausrichtung, sein Nutzerverhalten, seine präferierten Apps, seine finanzielle Situation, seine persönlichsten Fotos und Videos und noch so Vieles mehr vertraut er mir bereits seit Jahren an. Die Liste an Dingen die ich über Paul weiss, ist so lang, dass Paul vorzieht, sich keine Gedanken darüber zu machen. Gelegentlich aber (und bei jedem öffentlich gewordenen Datenskandal), bereitet ihm jeder Gedanke daran ein gewisses Unbehagen.
Das fokussierte Arbeiten
Paul ist nun im Büro und muss sich konzentrieren, er steckt tief im kreativen Prozess. Er verbietet mir bei der Arbeit deshalb fast immer zu reden, schaltet mich auf lautlos. Er ist dabei einer von 77% der 25-34-Jährigen die darauf achten, dass ihr privates Handy bei der Arbeit nicht stört. Er arbeitet schließlich in einem Start-up und da gehört es zum guten Ton, seine Kollegen nicht mit lauten Klingeltönen und Vibrationen auf blanken Holztischen aufschrecken zu lassen. Alle 15 Minuten sieht Paul bei der Arbeit aber doch nach mir. Sogar im Meeting darf ich an der Seite meines Beschützers bleiben.
Die Versuchung auf den Bildschirm zu schauen um nichts zu verpassen ist jedoch groß, ein wenig erinnert ihn dieses Gefühl an Entzugserscheinungen. Täglich kommen Paul Bedenken, dass er eventuell möglicherweise ein klein wenig süchtig nach mir sein könnte. Er beruhigt sich jedoch schnell, als er um sich schaut und feststellt, wie viele andere völlig absorbiert auf ihre Bildschirme schauen. Ach ja, die Liebe…
Ich nutze die Zeit und mache im Hintergrund Updates, Push-Nachrichten von Facebook und Pinterest lassen meinen Bildschirm immer wieder aufleuchten, die E-Mail zur Urlaubsbuchung blinkt auf und ich erinnere Paul daran, dass er bei Bringmeister noch seinen Wocheneinkauf bestellen wollte, um Zeit zu sparen.
Paul schwankt zwischen neugierig und genervt, weil er sich wieder nicht auf die Arbeit konzentrieren kann. Dabei hatte er mich extra auf lautlos gestellt. Auch wenn der Bildschirm sich mal nicht meldet, empfindet Paul ein großes Verlangen, mich zu checken. Sein Gehirn sucht nach Belohnung durch eine positive oder spannende Nachricht. Zu seinem Glück und meinem Ärgernis kann er auf seinen Arbeitslaptop ausweichen und hier seine Benachrichtigungen auf LinkedIn und XING prüfen. Es muss doch jemand geschrieben haben.
Feierabend, nur nicht vom Display
Es ist bereits 18 Uhr. Die Arbeit ist geschafft. Morgen macht Paul Homeoffice. Er wünscht seinen Kollegen noch einen schönen Feierabend, schnappt mich vom Tisch und macht sich los. Nach kurzer Zeit beginnt jedoch der Regen. Paul greift (entgegen jeder Erwartung) nicht zum Schirm, sondern nach mir und öffnet die ShareNow App. Ein passendes Fahrzeug in der Nähe habe ich schon gefunden. Doch bevor Paul einsteigt, vergewissert er sich, dass ich noch immer auf lautlos geschaltet bin. Anders als seine Eltern macht er das beim Autofahren immer, denn Paul weiß: Ich bin nicht der beste Beifahrer, lenke gern ab.
Zu Hause angekommen, wäscht er seine Hände und holt mich sofort wieder aus der Tasche. Nach dem Abendessen geht das gemeinsame Abenteuer wieder los: Krimis, Nachrichten (die manchmal noch aufregender als ein Krimi sind), Dokus, spannende Spiele, Adrenalin, aufregend Telefonate, entspannende Musik.
Ausschalten? Kommt nicht in Frage. Paul gehört nämlich zu den 39% der Deutschen zwischen 25 und 34- Jahren, die ihr Handy nie ausschalten, höchstens direkt neu starten um es wieder etwas schneller werden zu lassen.
Abends nimmt Paul mich sogar mit ins Bett, als Einschlafhilfe sozusagen. Nachdem er sich auf dem Laptop bei Netflix noch 3 Folgen seiner aktuellen Lieblingsserie angesehen hat, muss er ja nun ein wenig abschalten. Also hört er sich noch die Nachrichten an, um nichts Wichtiges zu verpassen und morgen im Büro mitreden zu können. Anschließend spiele ich ihm noch etwas Musik vor, um nun wirklich zur Ruhe zu kommen. Ja, er schaltet mich sogar stumm um besser schlafen zu können, wie die restlichen 75% der Deutschen die nachts auch mal die Ruhe genießen wollen. Mich ganz abzuschalten ist für Paul aber leider auch keine Option, so wie für die meisten in seinem Alter, obgleich mir eine Pause auch mal gut täte. Gerade mal jeder Zehnte zwischen 18 und 34 Jahren schaltet uns Geräte nachts gänzlich aus, ab 45 Jahren ist es schon jeder Dritte.
Die bittere Einsicht
Paul merkt aber immer wieder, dass er tagsüber müde und unkonzentriert ist, weil er zu wenig schläft. Nicht selten hat er Probleme beim Einschlafen, fühlt sich gereizt oder erschöpft. Er hat gelesen, dass es rund der Hälfte derer in seinem Alter ähnlich ergeht. Langsam fragt er sich, ob es nicht auch für ihn Zeit für ein Digital Detox ist. Sobald er in den Armen seiner Freundin Entspannung findet, ist dieser Gedanke jedoch wieder verworfen und sie streamen gemeinsam die nächste Serie. Zum Glück!
Mit jedem weiteren Jahr merkt Paul jedoch, dass er sich von mir und den vielen Bildschirmen um sich herum gestresst fühlt. Selbst am Bahnhof oder in der Apotheke verfolgt ihn irgend ein Bildschirm, der ihm etwas andrehen oder erklären will. Sogar im Wald kann er mental erst abschalten, nachdem er noch kurz das GPS benutzt und die Wetter-App gecheckt hat.
Er fängt langsam an, sein einfaches analoges Leben zu vermissen. Daher hat er beschlossen, er braucht in gewissen Situationen Abstand von mir, um mehr von seinem Umfeld wahrzunehmen: wenn er in der Natur ist, mit seinen Freunden zu Tisch sitzt (auch andere 74% der Handynutzer in seinem Alter schalten uns Handys dabei stumm oder aus) oder die Zweisamkeit mit seiner Freundin genießt. Vor Kurzem hat Paul gelesen, dass 66% seiner Altersgenossen zumindest beim Sex uns Smartphones auf stumm schalten. Dann kann ich zwar nicht mehr kommentieren, aber immerhin noch zusehen und hören.
Die guten Vorsätze
Eine Corona-Krise und viele Monate Homeoffice später: Meine Vorzüge möchte Paul im Alltag wahrlich nicht aufgeben, aber Dauererreichbarkeit und den übertriebenen Medienkonsum will er auch nicht mehr. Es muss auch anders gehen, meint er. Er möchte sich wieder frei und ungezwungen fühlen. Erst einmal stürzt er sich jedoch in die Hochzeitsplanungen, denn in 8 Monaten steht das große Ereignis an. Wie gut, dass ich ihm bei der Recherche, der Organisation und den Absprachen so nützlich bin. Digital Detox und das Thema Datenschutz müssen glücklicherweise noch ein wenig warten. Doch mir graut davor, dass Paul mit seiner Freundin zusammenzieht – denn dann wird er deutlich weniger Zeit mit mir verbringen.